Mal was für die Winterfahrer, oder für solche die es werden wollen.
Geschrieben von Fraro. Was haben die Fahrer von Enduros, Supermotos, Naked Bikes, Choppern und nackigen Cruisern gemeinsam? Sie kennen das Phänomen des Frierens auf dem Motorrad. Der Fahrer einer Goldwing oder eines vollverkleideten Dampfers aus München wird kaum nachvollziehen können, wie das unverkleidete winterliche Leben im Fahrtwind ohne Griffwärmer und beheizte Sitzbank aussehen kann. Der winterharte Biker unterscheidet dabei fünf Stufen des Frierens... Stufe Eins. Du bist an einem klaren Tag im Januar auf die Idee gekommen, die ersten trockenen Straßen des Jahres zu einem kleinen Ausritt zu nutzen. Es soll ein bißchen über die Hausstrecke gehen, mal sehen wer sonst noch so unterwegs ist und vielleicht bei Erna ein kleines Käffchen stürzen. Draußen hat es -2° C. Du ziehst also die Longjohns unter, knöpfst das Futter in die Textilklamotten, suchst die dicken Handschuhe raus und brabbelst los. Die ersten Meter sind wunderbar, die klare, trockene Frostluft beißt Dir schelmisch in die Wangen. Dennoch läßt Du das Visier offen, um die klare Winterluft im Gesicht zu spüren. Herrlich! Es ist eine Lust zu leben! Die dicken Klamotten stören Dich kaum, schon nach ein paar Metern hast Du Dich daran gewöhnt und läßt das Moped fliegen. Schon nach einer Dreiviertelstunde hast Du Dein Ziel erreicht. Du trinkst einen dampfenden Kaffee zusammen mit den anderen Motorradfahrern, denen die Kälte auch nichts ausmacht und nach einer weiteren halben Stunde fährst Du wieder nach Hause. Du fröstelst leicht, als Du die Wohnungstür aufschließt, bist aber der Meinung, daß sich dieser Ausritt absolut gelohnt hat. Motorradfahren ist ja so ein tolles Hobby! Stufe zwei. Es ist immer noch Januar, und Du hast Dich mit den Jungs zu einer Ausfahrt verabredet. An einem Samstag vormittag, gleich nach Sonnenaufgang trefft Ihr Euch auf dem Parkplatz bei McDonald's an der Ausfallstraße. Ihr wollt über die geräumten Landstraßen und ein kurzes Stück Autobahn in das Bikerrevier einfallen, in welchem Ihr letzten Sommer so tolle Ausfahrten und Grillfeten hattet. Es liegt immer noch etwas Schnee vom Vortag, aber der wird schon abtauen. Da Ihr den ganzen Tag unterwegs sein wollt und nur ein paar Zigarettenpausen und ein Mittagessen eingeplant habt, mußt Du Dich etwas dicker panzern. Es hat zwar lauschige fünf Grad plus, aber man soll die Temperaturen nie unterschätzen. Du ziehst also Longjohns unter die Lederhose und noch einen dünneren Pulli unter Deinen Winterpullover. Außerdem suchst Du die Winterhaube raus, die Du unter den Helm ziehen willst. Du magst sie ja eigentlich nicht, weil Du damit aussiehst wie einen Bankräuber auf dem Weg zur Arbeit, und weil sie den Helm unangenehm eng werden läßt- aber was hilft's? Unterwegs ist es bedeckt, die Luft riecht nach Schnee. Seit einer Stunde seid Ihr unterwegs. Deine Hände werden doch langsam kalt in den dicken, unbeweglichen Winterhandschuhen- und auch die Knie und Füße melden sich so allmählich. Deine Goretexjacke hält zwar immer noch das Gröbste ab, aber schleichend kriecht Dir die Kälte unter die Klamotten. Du bist froh, als Ihr an einem geschützten Plätzchen anhaltet und Du Dich bei einer Zigarette ein bißchen bewegen kannst. Die Gelenke wurden doch langsam steifer, aber Ihr scherzt und blödelt und alles in allem ist es ein großartiger Tag. Ihr sitzt wieder auf, und in gemächlichem Tempo geht es weiter, der Kneipe zu, in welcher Ihr zu Mittag essen wollt. Du bist dann doch erleichtert, als Ihr da seid, und Du aus den klammen Klamotten rauskannst. Der Gastraum ist zwar völlig überheizt und dicke, verqualmte Luft sucht sich ölig einen Weg in Deine Lungen, aber Du konntest die Jacke über eine Heizung hängen, die Handschuhe dazu, und taust langsam wieder auf. Ein Schnitzel, drei Tassen Kaffee und fünf Zigaretten später soll es wieder zurückgehen. Die Pause hat ein bißchen länger gedauert als geplant, darum müßt Ihr jetzt ein bißchen zulegen, wenn Ihr noch vor dem Dunkelwerden zuhause ankommen wollt. Ihr streicht also jede zweite Zigarettenpause, und die Kälte macht sich jetzt recht unangenehm bemerkbar. Du erwischst Dich dabei, wie Du den Autofahrern ein bißchen neidisch in die Fahrgastzelle guckst. Die fahren im Hemd, haben das Radio an, und werden ihr Ziel wohltemperiert erreichen. Aber noch rettet dieses was-bin-ich-für-ein-eisenharter-Hund-Gefühl Deinen Stolz. Jetzt hockst Du Dich erst recht gerade in den Wind und lachst dem Frost ins Gesicht. Dem Frost? Ja, beim Aufbruch von der Kneipe hast Du gesehen, daß das Thermometer noch etwas gefallen ist. das führt Dich direkt zur Stufe drei: Die ersten Schneeflocken schweben Dir entgegen. Mist, hoffentlich bleibt die Straße gut, es ist immerhin noch eine gute Stunde bis nach Hause. Deine Finger sind jetzt richtig klamm, und die Bewegungen Deiner Füße auf Schalthebel und Bremse werden nach und nach träger. Die dicken Klamotten nerven Dich, aber wenigstens isolieren sie gut. Zurück in der Stadt lächelst Du an der Ampel zwei süßen Mädels zu, die dick eingemummt über die Straße hasten. Sie gucken Dich harten Kerl nicht mal richtig an, und Dir beginnt zu dämmern, daß die jetzt dem Fahrer eines beheizten Opel Corsa 1,0 mehr Aufmerksamkeit schenken würden. Trotz des ruhigen Tempos in der Stadt kriecht Dir der Frost unangenehm in den Kragen, Schneeflocken finden den Weg durch Dein offenes Visier. Leider kannst Du jenes nicht schließen, weil es zwar mit irgendeinem ganz tollen und schweineteuren Super-Duper-Antifog-Freeze-To-Hell-Zeugs beschichtet ist- aber deine Brille leider nicht. Deine Nase beißt, die Wangen melden einen stechenden Schmerz. Endlich wieder zuhause ist Dir richtig kalt. Du braust Dir erstmal einen steifen Grog, um wieder Leben in die klammen Knochen zu pumpen, mummelst Dich auf dem Sofa in einer Decke ein, und nach einer Weile tauen auch Deine schmerzenden Füße wieder auf. Warum zum Teufel fährst Du eigentlich mitten im Winter Motorrad? Stufe vier. Es ist Anfang Februar. Du hattest den großartigen Einfall, einen weit entfernten Freund mit dem Motorrad zu besuchen. Über die Autobahn sind es mal eben so an die 400 Km, und der Wetterbericht meldet fünf Grad Frost und Schneegrieseln. Aber jetzt hast Du zugesagt und kannst nicht mehr zurück. Du ziehst folgende Sachen an: Drei T-Shirts, einen dünnen Pullover, einen mittleren Pullover, einen dicken Pullover, zwei Paar lange Unterhosen (in olivgrün, stammen noch aus Deiner Rekrutenschulzeit), eine Strumpfhose ("...sieht ja keiner!"), Tennissocken (dito), Kniestrümpfe mit dem Portrait von Homer Simpson, Stricksocken aus Alpakawolle (vom letzten Weihnachtsmarkt), Textilhose mit Winterfutter (gab's billig bei Polo), wollene Unterhosen, dünne Handschuhe, dicke Winterhandschuhe, schafwollener Nierenwärmer (war schon hilfreich bei Omas Rheuma), Nierengurt (geht gerade noch zu), Sturmhaube mit Gucklöchern, Original-Valentino-Rossi-Fanstuff-Piraten-Halstuch, Wollschal (hat Dir Deine Freundin gestrickt), Schnürstiefel, Knieschützer und Gamaschen. Nachdem Du noch vergeblich versucht hast, Deine Regenkombi als Windbrecher darüberzuwürgen, machst Du Dich auf den Weg runter zur Maschine. Eine Nachbarin guckt aus dem Fenster, bemerkt Dein cooles Outfit, und bekommt einen Lachkrampf. Der Schluck Kaffee, den sie eben noch im Mund hatte, läuft ihr aus der Nase. Dumme Kuh, was weiß die schon von den Freuden des Motorradfahrens an einem klaren Wintertag in ihrem stinkigen Nissan Micra? Leider ist der Wintertag nicht so klar, wie Du gehofft hattest. Ein eisiger Wind pfeift um die Ecken und treibt kleine Schneeflöckchen vor sich her. So, jetzt stehst Du neben Deiner Maschine- aber wie bekommst Du das andere Bein rüber? Du bist ungefähr so beweglich wie ein Nilpferd in einer Zwangsjacke. Ha! Die Rettung! Auf dem Parkplatz steht ein Blumenkübel aus Beton. Da schiebst Du Dein Stahlroß hin, steigst auf den Rand des Kübels, schwingst elegant Dein Bein über die Sitzbank und läßt Dich endlich aufatmend im Sattel nieder. Hustend hängt Deine reizende Nachbarin im Fenster, sie bekommt vor Lachen kaum noch Luft. Blöde Ziege, hat keine Ahnung. Ahnung ist übrigens auch, was Dir gerade fehlt: Wo ist denn bloß der dreimal verfluchte Zündschlüssel? In der Hosentasche. Also Handschuhe aus, Nierengurt weg, Jacke hoch, mit nackten Fingern nach dem Schlüssel fischen und alles wieder winddicht verpacken. Deine doppelt behandschuhten Finger schaffen es, den Schlüssel zu drehen und den Motor zu starten, obwohl sich deine Hände anfühlen wie dicke Bratwürste. Endlich bist Du unterwegs und auf der Autobahn Richtung südwest. Es läuft eigentlich ganz gut, der Schnee ist in einen leichten Regen übergegangen, die Fahrbahn ist aber geräumt und ziemlich eisfrei. Vor Dir auf der linken Spur fährt ein Geländewagen, so ein 300-PS-Blechschwanz mit einem vertrockneten kleinen Männlein am Steuer. Der Mann fährt stur 90, und Du kommst nicht vorbei. Deine Sicht tendiert mittlerweile gegen Null, denn der Bolide berieselt Dich sanft mit Salzwasser von der Fahrbahn. Immer wieder wischst Du auf dem Visier herum, erreichst aber nur, daß sich eine feine, weiße Salzschicht bildet, die Dein Sehvermögen auf das eines Grottenolms reduziert. Jetzt schmeißt dieser Unglückswurm auch noch seine Heckscheibenwaschanlage an und benebelt Dich mit stark alkoholhaltigem frostgeschütztem Wischwasser. Endlich bist Du vorbei, und pendelst Dich auf eine Reisegeschwindigkeit von 120 ein. Ganz allmählich schafft es die Kälte, sich durch die dicken Handschuhe einen Weg zu deiner Haut zu beißen. Sanft nagt sie an den Fingergelenken. Die Knie werden auch langsam kühler, von den Füßen gar nicht zu reden. Wie war das noch mit den isolierenden Luftschichten? Hast Du es vielleicht mit den Klamotten doch übertrieben und wäre weniger eventuell mehr gewesen? Ist jetzt auch egal, Du kannst es eh nicht mehr ändern. Scheiße, werden Deine Finger jetzt kalt. Als Du zwischendurch etwas stärker Bremsen mußt, fällt Dir die schwindende Kraft Deiner Hände auf. Kälte bekämpft man mit Wärme. Du fährst also auf den nächstbesten Parkplatz und ziehst die dicken Winterhandschuhe aus. Du läßt den Motor laufen und legst die Hände auf den Endtopf des Auspuffs, der ist nicht so fürchterlich heiß. Das hast Du schon ein paarmal ausprobiert, und es hat immer hervorragend funktioniert. Du rauchst ein Zigarettchen, und läßt die Handschuhe ordentlich durchwärmen. Als Du die Handschuhe vom Auspuff wieder herunternimmst, bemerkst Du einen fatalen Denkfehler: Die Fingerlinge, die Du sonst zum Backen auf die Brülltüte gelegt hast, waren aus Leder- die dicken, neuen Winterhandschuhe sind aber aus Goretex. Zu Deinem Entsetzen mußt Du feststellen, daß dieses Material nur sehr bedingt hitzebeständig ist- der linke Daumen ist um ein schönes, großes Loch, der Auspuff um einen klebrigen, schwarzen Fleck aus geschmolzenem Plastik reicher. Nun liegt Dein Daumen schön frei im Fahrtwind, und es kommt zur Stufe fünf: Anderthalb Stunden später. Du hast jetzt knapp 350 der 400 Kilometer abgespult. Der Regen hat zwischenzeitlich wieder eingesetzt, und das eiskalte Wasser hat die Außentemperatur nahezu verlustfrei auf Deine Haut übertragen.Dein michelinmännchenartiges Outfit hat der feuchten Kälte fast 200 Km standgehalten, aber jetzt ist sie in die letzte Ritze Deines Körpers gekrochen. Alles, was Du noch fühlst, ist eine allumfassende Kälte. Deine Zähne klappern, alle Gelenke sind steifgefroren, gelegentlich schüttelt es Deinen gesamten Körper durch, während dieser verzweifelt versucht, etwas Wärme zu erzeugen. Deine Beinmuskeln zittern, schalten und bremsen kannst Du schon seit einer halben Stunde nicht mehr. Deine Hände wollen kaum auf dem Lenker bleiben, die Oberarme hast Du eng an den Oberkörper gepreßt. Leicht nach vorne gebeugt versuchst Du, dem eisigen Wind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, natürlich ziemlich vergebens. Beim letzten Tankstop hast Du noch versucht, die Kälte mit einem lauwarmen Automatenkaffee zu bekämpfen, aber wirklich geholfen hat das auch nicht. "Kalt". Das einzige, was Du noch denken kannst, ist "kalt". Scheißkalt. Saukalt. Verflucht, ist das kalt. Deine Finger -und besonders den linken Daumen- spürst Du nicht mehr. Der Kälteschmerz ist schon lange einem tauben Gefühl gewichen, ein Stadium, welches der Rest deines Körpers noch vor sich hat. Autofahrer blicken Dich erbärmliche Gestalt mitleidig durch dicke Glasscheiben aus Ihren klimatisierten Büchsen an. Wa wa was wi wi wissen d-d-die sch-sch-schon vo-vo-vonner Fa fa freiheit-t-t einenenenenes Momomotorradausfululugs? Endlich kommt das Ziel in Sicht. Zum Glück kennst Du die Adresse, lange suchen mußt Du nicht mehr. Langsam und schwer schlingernd rollst Du auf den Parkplatz. Das Motorrad steht. Eigentlich müßtest Du jetzt ein Bein rausstrecken, um Dich abzustützen. Kein Bein gehorcht Dir. Sang- und klanglos kippst Du mitsamt der Maschine auf zur Seite und fällst auf's Maul...